Die ukrainische Stadt Cherson steht halb unter Wasser. Vor allem Arme und Ältere wollen ihre Häuser nicht verlassen. Wer es wagt, muss mit Beschuss rechnen.
Freiwillige versuchen Anwohner:innen zu evakuieren. Oft können sie nur Trinkwasser bringen Foto: Oleksandr Klymenko/reutersDaniel SchulzMaksim NakonechnyiKristina Lizogub 12.6.2023, 19:04 Uhr
Knapp achtzig Siedlungen sollen laut Angaben des ukrainischen Innenministeriums überflutet sein, vierzehn davon im vom Russland besetzten Gebiet am linken Ufer des Dnipro. Auch in der knapp 100 Kilometer nordwestlich von Cherson gelegenen Stadt Mykolaiw steht Wasser in den Straßen, bei Odessa treiben abgelöste Dächer von Häusern im Schwarzen Meer.
Und jetzt, rund ein halbes Jahr später, erleben die Einwohner die Zerstörung des Kachowkadamms. Kontrolliert wurde er von Russlands Soldaten, für die Menschen in Cherson, mit denen wir sprechen, steht daher fest, dass Putins Armee dafür verantwortlich ist. Von der anderen Seite des Flusses, die Russland besetzt hält. Immer wieder werden an diesem Tag dumpfe Schläge zu hören sein vom Abfeuern und Einschlagen großkalibriger Geschosse. „Ich habe Milch gefunden, die ist noch gut“, ruft Oleksii nach draußen. Sein Freund nickt. Warum geht Wolodymyr nicht, wenn es hier ohnehin schon so gefährlich ist? Dazu noch das Wasser.
In einem Wohnblock, dessen erster Stock unter Wasser steht, sehen sie eine ältere Frau und einen älteren Mann auf einem der Balkone sitzen. Auf dem Beton vor den beiden brennt ein kleines Feuer. Die drei Männer versuchen es dann noch mit einem Scherz – „das wird wie in einem Sanatorium für Sie, dreimal am Tag essen und Medikamente“ – dann mit Dringlichkeit – Russlands Soldaten schießen auf Rettungskräfte, „gestern sind zwei von uns gestorben, wir können nicht jeden Tag hier rausfahren“. Die Frau antwortet nur noch leise, aber sie kommt nicht mit.
Drinnen in der ersten Etage verteilen Helferinnen Lebensmittel, Wasser, Unterwäsche. Schlangen bilden sich, Stimmen schwirren durcheinander. Es ist nach 12 Uhr, bald gibt es Mittagessen in einem Raum mit langen Tischen, auf denen grüne, mit Erdbeeren und anderem Obst bedruckte Plastiktischdecken liegen.
„Der Präsident hat letztes Jahr sogar davor gewarnt, dass Russland den Staudamm sprengen könnte“, sagt Larysa, eine 38 Jahre alte Schiffslackiererin. „Aber ich habe es bis zum Schluss nicht geglaubt.“ Sie ist eine der vielen Ukrainer:innen, die auch an den Krieg nicht geglaubt haben, sagt sie, nicht daran, dass Russland wirklich die ganze Ukraine angreift, Cherson so schnell erobert und ja, auch nicht daran, dass Russland den Staudamm zerstört.
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